Lieber Seelsorger, lerne „Nein“ zu sagen

Lieber Seelsorger, lerne „Nein“ zu sagen

Ich saß im hinteren Teil einer Konferenz und eine Zuhörerin stellte eine gute Frage: „Mein Mann ist ein Seelsorger und er kämpft damit, nicht ans Telefon zu gehen, wenn ein Ratsuchender anruft, während wir als Familie zusammen sind. Wie kann ich ihn dazu bringen, sich auf uns zu konzentrieren und öfter „Nein“ zu sagen?“

Ich saß da und murmelte, was ich dachte, dass die Antwort des Redners sein sollte: Er muss lernen, „Nein“ zu sagen, sonst wird er im Dienst nicht überleben. Aber, die demütige Antwort des Vortragenden war folgende: „Um ehrlich zu sein, kämpfe ich mit der gleichen Sache…

Seelsorger sind barmherzige Menschen. Schließlich sind wir in diesen Dienst eingestiegen, um verletzten Menschen zu helfen. Wir geben den Hoffnungslosen Hoffnung, trösten die Trauernden, lieben die Benachteiligten und Ausgegrenzten und heißen die Außenseiter willkommen. Wenn also eine aufgewühlte Seele vorbeikommt, tun wir normalerweise genau das: Wir helfen, wenn es die Zeit und unsere Verfügbarkeit zulässt.

Aber wo ziehen wir die Grenze und sagen „Nein“? Wann lässt du die Mailbox rangehen? Wann antwortest du nicht auf eine SMS oder E-Mail und verschiebst es auf den nächsten Arbeitstag? Wann sagst du: „Das muss warten“, oder „Ich kann jetzt nicht“, oder „Ich muss mich auf meine Kinder konzentrieren“?

Die meisten Seelsorger, die ich kenne, tun sich schwer damit, nein zu sagen, weil ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet ist, Barmherzigkeit zu zeigen. Andrew Dealy sagte auf einem Panel bei der CCEF Vorkonferenz (1. Oktober 2020):

„Nein“ zu sagen ist eines der schwierigsten Dinge für einen Seelsorger….wenn wir „Nein“ sagen, zermalmt das unsere Seelen.

Ich frage mich, ob du dich mit Andrews Gefühlen identifizieren kannst? Lass mich dir ein paar erlösende Prinzipien und Warnungen geben, die dir als Seelsorger helfen zu wissen, wann du „Nein“ sagen solltest.

Prinzip: Gott braucht dich nicht als Mini-Messias.

Warnung: Du kannst dich selbst rechtfertigen, wenn du dich überarbeitest, weil du für Gott arbeitest.

Als ich ein frischgebackener (und unerfahrener) Seelsorger war, habe ich jedem, der mich brauchte, gesagt, dass er mich jederzeit anrufen kann. Und ratet mal was? Ich bekam Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das war eines der dümmsten Dinge, die ich je als Seelsorger gemacht habe. Was steckte dahinter? Ich hatte einen Mini-Messias-Komplex – ich hatte ein so brennendes Herz, dass ich mich bis zur Erschöpfung anstrengte, jeden und allen gerecht zu werden, die Hilfe brauchten.

Die Arbeit für das Evangelium beinhaltet Selbstverleugnung und Aufopferung, aber keine selbst verschuldete Fehleinschätzung. Es war viel zu einfach, sich selbst zu rechtfertigen, dass ich schon früh hingegangen bin, lange geblieben bin und mich mit jedem getroffen habe, weil ich ja schließlich ein Arbeiter für das Evangelium war.

  • Ich habe schwachen und verletzten Menschen geholfen.
  • Ich habe Gottes Berufung für mein Leben erfüllt.
  • Ich habe einen Unterschied gemacht.
  • Ich war theologisch geschult und ausgerüstet.
  • Ich habe Gottes Reich gefördert.

Ein Mini-Messias hat zu viel „Ich“ im Zentrum seiner oder ihrer Arbeit und nicht genug Christus in der Mitte von allem. Wenn du das bist, dann tue für deinen Mini-Messias-Komplex Buße und bitte Gott um seine Gnade, dich Christus unterzuordnen.

Prinzip: Außerhalb von Gott ist deine erste Verantwortung deine Familie.

Warnung: Wenn du nicht „Nein“ sagst, können dein Ehepartner und deine Kinder nachtragend und bitter werden.

Wenn du keine proaktiven Schritte unternimmst, um deine Familienzeit zu schützen, können die Herzen deines Ehepartners und deiner Kinder kalt, hart und bitter werden.

Wenn du eine gute Arbeit machst und Menschen geholfen wird, und ihr Leben durch die Gnade Gottes verändert wird, dann werden deine Ratsuchenden anderen davon erzählen. Jill verkündete: „Ich bin gekommen, weil du Sally so sehr geholfen hast. Sie hat gesagt, ich soll zu dir kommen!“ Das spricht sich herum. Neue Leute tauchen auf. Ziemlich bald hast du mehr Gläubige, die um deine Hilfe bitten, als du Zeit hast, sie zu geben.

Die Versuchung ist dann, sich über das hinaus zu gehen, was weise ist. Du fängst an, deine Familie ihrer Zeit zu berauben und sie mehr deinen Ratsuchenden zu geben. Und wenn du überarbeitet bist, kommst du erschöpft nach Hause, und selbst wenn du zu Hause bist, bleibt nicht viel von dir übrig, um deinen Lieben etwas zu geben.

Du und dein Ehepartner (und in Rechenschaft mit reifen christlichen Freunden) entscheidet, was für euren Zeitplan weise ist, und dann halte dich vor Gott und deiner Familie daran. Wenn du sagst: „Ich komme wochentags um 17:30 Uhr nach Hause“, dann sei spätestens um 17:31 Uhr zu Hause. Wenn du bei deiner Familie zu Hause bist, sei voll und ganz bei ihr. Lass deine Ratsuchenden sich nicht in deine Zeit drängen. Wenn es sich nicht um einen echten Notfall handelt, antworte nicht auf die SMS oder gehe nicht ans Telefon.

Unsere Familie hat eine LAEG (Lebens-aussaugende-elektronische-Geräte) Kiste gebraut. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, lege ich mein Handy in die Box und nehme ein Abendessens-Auszeit von meinem Smartphone. Ich nehme es erst wieder in die Hand, wenn unser letztes Kind ins Bett gegangen ist. Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich mein Smartphone zum vierzigsten Mal in einer Stunde aus der Tasche ziehe und meine E-Mails checke (naja, nicht exakt, aber an manchen Tagen ist das ziemlich nah dran).

Wenn du keine proaktiven Schritte unternimmst, um deine Familienzeit zu schützen, können die Herzen deines Ehepartners und deiner Kinder kalt, hart und bitter werden. Und das willst weder du noch ich.

Prinzip: Weisheit gebietet, dass du dich um dich selbst kümmerst.

Warnung: Wenn du nicht nein sagst, läufst du Gefahr, auszubrennen.

Du kannst in der Arbeit für das Evangelium nicht überleben, wenn dein Motor ständig auf Reserve läuft. Das ist ein Rezept für ein Desaster und letztendlich führt es zu einer Selbstimplosion und einem Burnout. Um glücklich, gesund und geistig gesund zu bleiben, musst du dich um dich selbst kümmern.

Mache Sport. Iss gut. Trinke viel Wasser. Unternehme einen gemeinsamen Abend mit deinem Ehepartner oder eine besondere Zeit mit deinen Kindern. Lies zum Vergnügen. Mach einen Spaziergang. Genieße die Wärme der Sonne auf deinem Gesicht oder den Farbenwechsel der Bäume im Herbst. Sinne über Gottes Wort nach. Hetze dich nicht durch das Wort. Lies Gottes Wort nicht nur, um es von deiner To-Do-Liste abzuhaken. Lies mehr in deiner Bibel, wann immer du kannst.

Es ist nicht falsch, sich um sich selbst zu kümmern, wenn es mit dem Ziel geschieht, ein gottgefälliger Verwalter deines Geistes, Körpers und Lebens zu sein. Du sorgst für dich selbst, nicht weil es gut für dich ist, sondern weil du Gott die Ehre geben willst (vgl. 1Kor 10,31).

„Nein“ zu sagen ist liebevoll gegenüber deiner Familie, eine weise Art zu leben und es ehrt deinen Gott.

„Nein“ sagen zur Ehre Gottes

Die Ausnahmen zu diesen Prinzipien und Warnungen sind Suizidfälle oder ähnlich kritische Situationen, wie z.B. wenn ein Ratsuchender vergewaltigt wird und dich unmittelbar danach aus der Notaufnahme des Krankenhauses anruft. Es gibt einige Dinge, für die du deine Familienzeit unterbrechen und an die Seite eines geplagten Gläubigen eilen musst. Aber das sind die Ausnahmen, nicht die Regel. Die meisten Dinge, mit denen ich mich in der Seelsorge befasse (und ich befasse mich mit einer Menge harter Dinge), können warten, bis ich meine Kinder ins Bett gebracht habe oder bis ich am nächsten Tag im Büro bin.

Seelsorger, die über einen langen Zeitraum – 20, 30 oder 40 Jahre – durchhalten, haben gelernt, „Nein“ zu sagen. „Nein“ zu sagen ist schwer und unbequem, aber es ist überlebenswichtig.

Bist du bereit, „Nein“ zu sagen? Kannst du den Mini-Messias töten, der in dir wütet? Kannst du deine Zeit mit der Familie schützen? Kannst du dich um dich selbst kümmern, anstatt dich in den Boden zu stampfen? „Nein“ zu sagen ist nicht einfach, aber es ist liebevoll gegenüber deiner Familie, eine weise Art zu leben und es ehrt deinen Gott.

Zum Nachdenken

  • Bist du ein Mini-Messias? Wenn ja, was willst du dagegen unternehmen?
  • Was würde es für dich bedeuten, Grenzen in deinem Leben zu setzen, besonders um die Zeit mit deiner Familie zu schützen?
  • Wenn du verheiratet bist, haben dein Ehepartner oder deine Kinder jemals ihren Unmut über deine Arbeit geäußert? Wenn ja, was muss sich ändern?
  • Suchst du nach Rechenschaft für deine Arbeit?


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