Die Gefahr der Abhängigkeit

Die Gefahr der Abhängigkeit

(Das ist Teil 2 von 2 einer kurzen Serie über unsere Abhängigkeit als Seelsorger.
Teil 1: Die Notwendigkeit der Abhängigkeit)


Es hat etwas Schönes, wenn man sich gebraucht fühlt. Im richtigen Rahmen ist es ein Geschenk des Herrn, das unseren Dienst an den anderen bestätigt. Die Mutter fühlt sich vom Kleinkind gebraucht. Der Arzt fühlt sich von dem Patienten in kritischem Zustand gebraucht. Der Buchhalter fühlt sich von seinem Kunden gebraucht.

In jedem Fall hat der Herr es zugelassen, dass unser Dienst an einem anderen Menschen von einem Gefühl begleitet wird, das mangels besserer Ausdrucksweise als ziemlich gut empfunden wird. Das sollte uns in die Anbetung eines Vaters einführen, der unsere eigene größte „Hilflosigkeit“ durch das Opfer Seines eigenen Sohnes gelöst hat – wir Sünder neigen dazu, die Anbetung auf uns selbst zu richten…

Das geschieht in vielen Formen. Manche Menschen stellen eine Abhängigkeit her, um ihre Existenz zu bestätigen – d.h. „solange mich jemand braucht, ist das Leben lebenswert“. Andere versuchen vielleicht, Menschen in ihre Abhängigkeit zu bringen, um sie oder ihre Umstände zu kontrollieren. Auch in der Seelsorge kann das Herbeiführen von Abhängigkeit eine subtile Form annehmen – ein Seelsorger kann sich selbst die Grube bauen, in der er vom Ratsuchenden gebraucht wird. Und obwohl diese Beispiele oft den Anschein von Dienst oder Demut haben, beschreibt sie der Herr auf andere Weise…

Versteckte Selbstsucht

Im vorangegangenen Artikel habe ich über die Notwendigkeit gesprochen, von Gott abhängig zu sein. Eine einfache Google-Suche nach „Abhängigkeit in der Bibel“ offenbart eine Schriftstelle nach der anderen, in der unser absolutes Bedürfnis nach Ihm beschrieben wird. Aber ein genauerer Blick auf die Schrift zeigt, dass es eigentlich eine beklagenswerte Sache ist, wenn wir andere unangemessen abhängig von uns machen (oder uns selbst unangemessen abhängig von anderen machen).

Der Punkt wird in Thessalonicher 4 ganz deutlich: „… und eure Ehre darin sucht, ein stilles Leben zu führen, eure eigenen Angelegenheiten zu besorgen und mit euren eigenen Händen zu arbeiten, so wie wir es euch geboten haben, damit ihr anständig wandelt gegenüber denen außerhalb der Gemeinde und niemand nötig habt.“ (1Thess 4,11-12; SCH2000). Wir sind dazu berufen, vom Herrn und niemals vom Menschen abhängig zu sein.

Im Alten Testament, verflochten durch die Geschichte Israels, gibt es deutliche Beispiele für beide Seiten – den willentlich Abhängigen und den Unterdrücker. Gottes Volk wurde ständig von anderen Nationen unterdrückt und ausgenutzt; im Gegensatz dazu gab sich Israel ständig jedem hin, der nicht Jahwe war. Eine Nation nach der anderen nahm sie gefangen und versklavte sie; und zu welchem Zweck? Um sich selbst zu dienen.

Das ist der Kern eines jeden Menschen, der versucht, sich unnötigerweise in eine Position über eine andere Person zu stellen und sie in Abhängigkeit zu zwingen. Dies kann nicht länger als Dienst bezeichnet werden – es ist Versklavung. Es ist die Suche nach den eigenen Bedürfnissen gegenüber den Bedürfnissen anderer (das Gegenteil von Phil 2,3-4). Das ist absolut nicht das, was Jesus im Sinn hatte, als Er Seine Jünger in Matthäus 28 beauftragte.

Auftrag vs. Abhängigkeit

Im Leben von Paulus finden wir ein schönes Beispiel dafür, wie man den Missionsbefehl ausführt.

Paulus hatte viele geistliche „Kinder“ – Der Herr benutzte ihn auf seinen vielen Missionsreisen, um immer mehr Menschen zu Jüngern zu machen, als die Heilige Schrift zu erzählen vermag. Zwei der bemerkenswerteren geistlichen Kinder waren wohl Timotheus und Titus. Wenn man die Briefe des Paulus an diese geschätzten Jünger liest, wird klar, dass diese Männer ihren eigenen Weg mit Christus gingen, und sie ermutigt wurden, ihre eigenen einzigartigen Gaben auszuüben; und Paulus war darauf bedacht, sie für ihre Bedürfnisse zu Jesus zu führen. Er ermutigte sie sogar, dieses Modell vorzuleben, indem sie andere Leiter aus ihren Gemeinden heranbildeten.

Paulus hat niemals Männer und Frauen dazu ermutigt, von ihm abhängig zu sein. Paulus war darauf bedacht, Männer und Frauen mit der Ausführung des Missionsbefehls zu beauftragen.

Dennoch begegnete Paulus auf seinen Reisen immer wieder Männern und Frauen, die seine Ansicht über die Abhängigkeit nicht teilten. In einer Begegnung, die sich in Apostelgeschichte 16 findet, treffen Paulus und Silas ein junges Mädchen, das „einen Wahrsagegeist“ hatte. In einer interessanten Wendung der Ereignisse sagt Paulus, dass der Geist in Jesu Namen aus ihr ausfahren sollte. Was Paulus vielleicht nicht gemerkt hat, ist, dass dieses junge Mädchen von einigen Männern (die als ihre Besitzer bezeichnet werden) beherrscht wurde, die sehr viel Geld mit ihrem Unglück verdienten. Als sie merkten, dass ihr Vorteil jetzt vorbei war, wandten sie sich mit Gewalt gegen Paulus und Silas. Dieses junge Mädchen hatten sie so lange in ihrer Abhängigkeit gehalten, um ihren selbstsüchtigen Vorteil zu bekommen.

In deiner Seelsorge/Jüngerschaft

Ich nehme an, deine Seelsorge/Jüngerschaft sieht nicht so dramatisch aus. Wie könnte sich also die Förderung von unangemessener Abhängigkeit auf allgemeinere Weise bemerkbar machen? Hier sind ein paar Beispiele:

  • Du hast immer eine Antwort auf die Fragen der Ratsuchenden und forderst sie nie heraus, selbst im Wort Gottes zu forschen.
  • Du hilfst ihnen nicht, zu lernen, sich selbst zu helfen.
  • Sie brauchen dich, um die Bibel auszulegen und anzuwenden.
  • Dein Ratsuchender/Jünger ist wie gelähmt, wenn sie eine Entscheidung treffen müssen, ohne dass du dich vorher einmischst.
  • Keiner von euch will, dass sich die Beziehung ändert

Bedenke, dass sich das nicht auf den anfänglichen Teil deiner Beziehung bezieht. Seelsorge kann sich manchmal so anfühlen, als würde man jemanden innerhalb von 12 Wochen vom Kreißsaal ins Studentenwohnheim bringen – am Anfang sind sie wirklich sehr hilfsbedürftig, aber ehe man sich versieht, entlässt man sie in allgemeinere Formen der Jüngerschaft. Vielleicht fängst du mit jemandem an, der dich wirklich braucht, um zu erklären, was das Wort Gottes zu einer bestimmten Sache zu sagen hat – und das ist in Ordnung. Aber genau wie der Sinn einer Notaufnahme darin besteht, die notwendige Versorgung zu bieten, um den Patienten wieder zu entlassen, so besteht der Sinn der Seelsorge darin, die Abhängigkeit des Ratsuchenden immer mehr auf Jesus, nicht auf dich selbst, zurückzuführen.

Schaue auf Jesus

Hebräer 12 drängt uns, „…mit Ausdauer laufen in dem Kampf, der vor uns liegt, indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens,..“ (Hebr 12,1b-2a; SCH2000).

Auch wenn es zu Beginn der Seelsorge Elemente einer angemessenen Abhängigkeit geben mag, ist das Ziel für uns als „kleine Ärzte“, sie ständig auf den Großen Arzt für ihre Anliegen hinzuweisen und sie zu lehren, wie sie selbst zu Ihm schauen können. Und sie dann zu lehren, andere zu lehren, auf Ihn zu schauen (Jünger machende Jünger). Denn nur Jesus allein ist in der Lage zu befriedigen, und nur Er allein kann sagen: „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke!“ (Johannes 7,37).

Ja, es kann ein schönes Gefühl sein, jemanden zu haben, der von dir abhängig ist. Ja, es kann Zeiten und Zeiträume geben, in denen ein gewisses Maß an Abhängigkeit angebracht ist. Aber hüte dich davor, in die Falle zu tappen, Jünger zu machen, die von dir abhängig und nicht völlig von Jesus abhängig sind.


Originalpost: The Trap of Dependency
Autor: Stefan Nitzschke
Blog: Counseling with Confidence and Compassion


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